Prof. Dr. A. A. Bispo, Dr. H. Hülskath (editores) e curadoria científica
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No. 85 (2003: 5)


 

    Entidades promotoras
    Akademie Brasil-Europa
    I.S.M.P.S. e.V./I.B.E.M.: Institut für Studien der Musikkultur des portugiesischen Sprachraumes/Instituto Brasileiro de Estudos Musicológicos
    ACDG: Associação Cultural Cante e Dance com a Gente (Novo Hamburgo RS)
    Institut für hymnologische und musikethnologische Studien e.V. (Maria Laach)

    Direção geral
    Dr. Antonio A. Bispo
    Direção Forum RS
    Dra. Helena de Souza Nunes, Rodrigo Schramm

Cantor D.Krahô
Paço Municipal de Joanópolis

© Foto: H. Hülskath, 2002
Archiv A.B.E.-I.S.M.P.S.

 

MARACA UND VIOLA
INTERAKTION VON SYSTEMATIK UND GESCHICHTE IN DER ANALYSE MUSIKHISTORISCHER MECHANISMEN TRANSFORMATORISCHER KULTURIDENTITÄTEN

Vortrag im Rathaus der Stadt Joanópolis

[Auszug]

Antonio Alexandre Bispo

 

Die Maraka wurde von den Chronisten und Missionaren stets als das Hauptinstrument, gleichsam als ein Enblem, der indigenen Welt angesehen. Der Begriff erscheint bereits im ersten Vokabular indianischer Worte, das während der Weltumseglungsreise von Fernão de Magalhães zusammengestellt wurde.1 Einige der ersten europäischen Reisenden meinten sogar zu erkennen, daß die Maraka das Idol der Indianer sei, der Kern ihrer Religion.2

Die eingehendste Auseinandersetzung mit der Maraka findet sich beim französischen Jesuiten Joseph Lafiteau im 18. Jahrhundert, dem Autor eines grundlegenden Werkes mit dem Titel "Die Sitten der amerikanischen Wilden in Vergleich zu denen der ersten Zeiten" - ein Markstein der Geschichte der Völkerkunde -, das bisher in Brasilien nicht berücksichtigt wurde.3 Dieser Gelehrte, der in Missionen Kanadas lebte, war zwar nie in Brasilien. Er studierte jedoch die Briefe der Missionare und alle Berichte, die er finden konnte. Sein Ziel war es nicht nur, Kulturelemente aller Indianervölker Amerikas miteinander und mit Daten in historischen und archäologischen Quellen der Antike zu vergleichen, sondern zu beweisen, daß zwischen den alten Völkern und den Indianern innige Bezüge bestünden. Diese uralten Auffassungen und Praktiken würden auf Ursprungszeiten der Menschheit zurückgehen und seien vom Schöpfer selbst geoffenbart worden.4

Für Lafiteau war die Maraka eines der wichtigsten Beweismittel für das ungeheuerliche Alter der Kultur der Indianer. Er hob dabei hervor, daß es ein Irrtum sei, dieses Instrument lediglich als eine Rassel anzusehen. Für Lafiteau sollten - zu Recht - die Instrumente nicht nach ihrem Aussehen oder nach ihrer Spielart klassifiziert werden, sondern nach der Wirkung, die sie in der Seele des Hörers hervorriefen. Obwohl die Maraka lediglich ein Gefäß voller Samen und Steinchen sei, die beim Schütteln Geräusche hervorriefen, entspräche sie in Wirklichkeit Instrumenten der Antike, die ganz anders aussahen.

Die Maraka war nach Lafiteau das äquivalent des Sistrum, d.h. des ägyptischen Instruments in Form einer Gabel mit Metallscheibchen, die gegeneinander schlagen, wenn es geschüttelt wird.5 Der Sinn dieses Instruments - Symbol der Erd-Göttin Isis - wurde von den antiken Autoren folgendermaßen erklärt:

Die vier Elemente der Welt - Feuer, Luft, Wasser und Erde - müssen stets vermischt bleiben, damit sie immer in Bewegung sind, was der Erde Leben verleiht. Wenn die Elemente sich voneinander scheiden, d.h. wenn sich die leichten Elemente - Feuer und Luft - von den schweren - Wasser und Erde - trennen und in die Höhe steigen, dann bleibt der untere Teil der Welt kalt und feucht, so daß das Leben erlischt und der Mensch erkrankt und stirbt. Dieser Grenzsituation entspricht in der Natur der Winter, wenn es kalt und dunkel ist. Der Beginn des aufsteigenden Abschnitts des Jahres, der zum Frühling und zum Sommer führt, in dem die Tage allmählich länger und wärmer werden, entspricht einem Prozeß der Vermischung der Elemente, als ob eine unsichtbare Hand in geheimnisvoller Weise ein kosmisches Sistrum zu schütteln beginne. Auf Grund des Sympathiegesetzes zwischen Makro- und Mikrokosmos, das in der Magie der Antike stets akzeptiert wurde, glaubte man, daß das Spiel des Sistrums bewirken könne, Erde und Menschen mit neuem Leben, mit Fruchtbarkeit oder Gesundheit zu erfüllen.6 Hier zeigt sich die Parallele zur Maraka der Indianer, die bei Heilriten von den Pajés um den Körper des Erkrankten geschüttelt wird

A. A. Bispo e Domingos Krahô
Das Musikinstrument der Antike jedoch, das nach Lafiteau am meisten der Maraka entsprach, war der Testudo oder Chelys, d.h. die Schildkröte. Dieses Instrument war nach ihm nicht weiteres als der Panzer einer Schildkröte mit eingetrockneten Resten des Tieres im Inneren, die beim Schütteln Geräusche hervorbrachten. In der Tat ähneln die Zeichnungen vieler Marakas den Mustern auf Schildkrötenpanzern, wie auch von Lafiteau festgestellt wurde, der sich eingehend mit der Musiksymbolik dieses Tieres beschäftigt hat.

Die Schildkröte spielte eine außerordentlich wichtige Rolle in der Geschichte der Musikauffassungen, da sie mit dem Mythos der Erfindung der Lyra in Zusammenhang steht, die ja das Sinnbild schlechthin der Musik ist.7 Es soll Hermes bzw. Merkur gewesen sein, der eine Schildkröte gleich nach seiner Geburt traf und aus ihr eine Lyra machte. Mit diesem neuen Instrument stimmte er seinen Gesang an seinen Vater an, dem obersten Gott. Später schenkte er seine Lyra dem Apollon. Die Lyra aus dem entsprechenden Mythos des Orpheus erscheint als eine Konstellation an hoher Postition im Sternenhimmel.

Bemerkenswert ist, daß nach Gelehrten aus der Zeitenwende eine Beziehung zwischen diesem Mythos und dem Auszug Israels aus ägypten besteht. Moses wurde mit Hermes in Verbindung gebracht, was nachvollziehbar ist, da auch er ein Bote war, ein Vermittler, ein Führer, ein Wegbereiter, ein Mann des Wortes und der Schrift, zumal er die Heiligen Schriften niederschrieb. Moses soll nach dieser überlieferung eine tote Schildkröte in ägypten gefunden haben, nachdem sich die Fluten des Nils zur Bedrohung des Pharao zurückgezogen hatten. Er soll bemerkt haben, daß diese Schildkröte beim Schütteln ein Geräusch hervorbrachte. Später wurden die Nerven und Sehnen des Tieres für Saiten eines Musikinstruments verwendet.

Hier zeigt sich demnach die symbolische Bedeutung des Instruments: es entspricht dem Körper bzw. dem Brustkorb und dem aktiven Leben eines Menschen, der durch Gewissensprüfung, Reue, Buße und Fasten abgetötet und zu einem Instrument wird. Frei von irdischem Ballast wird er zu einem Resonanzkasten, damit die Saiten der Seele schwingen können, so daß aus dem Menschen ein neuer Gesang entsteht. Es ist demnach nachvollziehbar, daß in den christlichen Traditionen die Konstellation der Lyra als Symbol der Krippe erscheint, denn es war dieser Trog, der das göttliche Kind - den Logos - aufnahm. Aus diesem Grund wird bis heute noch in den Weihnachtsspielen des Nordostens der Tanz der Lyra aufgeführt.8

Es gibt demnach eine enge Beziehung und zugleich einen gravierenden Unterschied zwischen dem Panzer einer Schildkröte, der Geräusche hervorbringt, wenn er geschüttelt wird, und dem Schildkrötenpanzer als Resonanzkasten eines Saiteninstruments. Die Wirkung des ersten Instruments entspricht nach dem Sympathiegesetz der notwendigen Bewegung der Elemente zur Hervorbringung von Leben, Fruchtbarkeit, Befruchtung und Wachstum, d.h. Gütern des irdischen Lebens, die einzigen, die von den Menschen erwünscht werden, die nicht für die Welt, die nicht diese Welt ist, neugeboren sind.

Das zweite Instrument dagegen betrifft den Gesang des Herzens in einem gereinigten Körper bzw. des disziplinierten aktiven Lebens, und dies ist der geistige Gesang des neugeborenen oder regenerierten Menschen. Es ist das Neue Lied, das erklingt, wenn dieses Instrument gespielt wird.

Es ist demnach nachvollziehbar, daß eine der wichtigsten Sorgen der Missionare des 16. und des 17. Jahrhunderts, die - anders als heute - die Bildersprache der Traditionen noch lesen konnten, darin bestand, die Maraka der Indianer, die so sehr den magischen Praktiken der Pajés diente, durch Violas bzw. entsprechende Saiteninstrumente zu ersetzen. Es ging eigentlich nicht darum, die Maraka abzuschaffen, sondern ihr den richtigen Platz zuzuweisen, wie auch irdische Güter, Fruchtbarkeit, Gesundheit und Wachstum in diesem Leben wünschenswert bleiben, aber nach der christlichen Perspektive nicht die höchsten Güter darstellen, die ein Gläubiger anstreben soll.

So ist es bezeichnend, daß bei den Guaranis, die im 17. Jahrhundert tiefgreifend missioniert wurde, bis heute die Viola oder die Gitarre als Schlaginstrumente verwendet und als Mbaraca bezeichnet werden. Es ist auch nachvollziehbar, daß unsere Violas - und andere Saiteninstrumente der lateinamerikanischen Länder - bis heute noch zuweilen aus Tieren hergestellt werden, die der Schildkröte ähneln, wie z.B. aus dem Gürteltier.

Diese Symbolik und diese missionarische Methode begünstigten sicherlich die außerordentliche Entwicklung einer Musikkultur der Viola, mit oder ohne dem Geräusch der Rassel. Diese Musikkultur ist tief mit Werten des Herzens und des Geistes verbunden. Es gibt somit eine Geistigkeit, die der Viola-Musik durch die Bildersprache zugeschrieben wurde und die heute zutiefst die rurale Kultur prägt, die würdig ist, eingehend untersucht zu werden. Diese Geistigkeit kann aber nicht ohne die Berücksichtigung der Maraka-Symbolik betrachtet werden.

Ich sehe also enge Bezüge zwischen diesen beiden Musikinstrumenten, die nicht hypothetischer Natur, sondern in den Darstellungsweisen der symbolischen Ordnung unserer Kultur begründet sind. Diese Feststellung mag hoffnungsvoll stimmen, da es vielleicht möglich sein wird, Wege zu finden für tiefere und weniger konfliktreiche Beziehungen zwischen den indigenen Kulturen und der sie umgebenden Welt, die in der Regel die der rurale Gesellschaft Brasiliens ist.

(...)

1 Hierzu A. A. Bispo, "Aufmerksamkeit Roms für den Indianer Brasiliens: erster Hinweis auf die Maraca", Die Musikkultur der Indianer Brasiliens IV, Musices Aptatio, Jahrbuch/Liber Annuarius, Köln 2002, 26-29.

2 Hierzu A. A. Bispo, "Indianer und ihre Musik im Zeitalter der Reformation: Maraca versus Psalme", ibidem, 48-54, und ders. "Vor dem Hintergrund konfessioneller Antagonismen: Maraca und Relikarien", ibidem, 55-63.

3 Moeurs des sauvages ameriquains, comparées aux moeurs des premiers temps, Paris 1724; Joseph-François Lafiteau, Die Sitten der amerikanischen Wilden im Vergleich zu den Sitten der Frühzeit, Neudr. d. I. Abt. von Bd. I d. 1752 in Halle bei Johann Justinus gebauer erschienenen u. von Siegmund Jacob Baumgarten hrsg. zweibd. Ausg. "Allgemeine Geschichte der Länder und Völker von America" Faks. hrsg. u. kommentiert von Helmut reim, Weinheim 1987 [Allgemeine Geschichte der Länder und Völker von America, Johann Friedrich Schröter, Bd. I,I]

4 Hierzu A. A. Bispo, "Hieroglyphischer Sinn der Musikkultur in christlicher Deutung", op.cit., 98-118.

5 Zur Umdeutung des Sistrums in den pastoralen Volkstraditionen: A. A. Bispo, "Anmerkungen zur Bedeutungsforschung pastoraler Volkstradition", in: Beiträge über christliche Volkstraditionen und synkretistische Erscheinungsformen religiöser überlieferungen in Brasilien, Musices Aptatio/Liber Annuarius 1989/90, hg. J. Overath, Köln, 1996, 174-193.

6 Hierzu des Verfassers Christliche Musikanthropologie: Eine Einführung, in: Musices Aptatio/Liber Annuarius 1992/3, hg. v. J. Overath, Köln, 1999.

7 Zum Sinnbild der Schildkröte bzw. des "Jabuti" in der Geschichte des ethnologischen und volkskundlichen Denkens in Brasilien: A. A. Bispo, "Die Musikkulturen der Indianer Brasiliens: Stand und Aufgaben der Forschung IV: Zur Geschichte", in A. A. Bispo (Org.), Die Musikkulturen der Indianer Brasiliens, in: Musices Aptatio/Liber Annuarius 2000/1, hg. R. Schumacher, Siegburg, 2002, 1-419.

8 Zur Lyra in den Volkstraditionen Brasiliens (mit Foto): A. A. Bispo, Grundlagen christlicher Musikkultur in der außereuropäischen Welt der Neuzeit: Der Raum des früheren portugiesischen Patronatsrechts, in: Musices Aptatio/Liber Annuarius 1987/8, hg. J. Overath, Köln, 1989.

 

Alguns textos dos anais do Congresso foram publicados em:/Einige Texte der Annalen des Kongresses wurden veröffentlicht in:
Musik, Projekte und Perspektiven. A.A. Bispo u. H. Hülskath (Hgg.).
In: Anais de Ciência Musical - Akademie Brasil-Europa für Kultur- und Wissenschaftswissenschaft. Köln: I.S.M.P.S. e.V., 2003.
(376 páginas/Seiten, só em alemão/nur auf deutsch)
ISBN 3-934520-03-0

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